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Wann ist ein Opfer ein Opfer? und: Wer entscheidet das?

Neulich gab es auf Facebook eine Diskussion über den Gender-Pay-Gap und Frauen in der Politik. Sachlich und knapp gab ich mein Statement ab. Prompt kam die Replik eines Mitdiskutanten, ich solle mich doch nicht als Opfer darstellen. Immerhin stünde es Frauen frei, welchen Beruf sie wählen und wie viele Stunden sie arbeiten wollen. Eine weitere kurze Anmerkung meinerseits, und der Mann schrieb, ich solle doch besser für meine Enkelkinder die Socken stopfen, denn eine Frau wie ich sei nicht im Stande, politische Diskussionen zu führen und kochen könnte ich sicher eben so wenig. Ich klickte mich raus.

Am Sonntag im Kurier berichtete die Journalistin Stephanie Angerer, dass es trotz immer mehr Anzeigen von Frauen, die Verfahren aber oft eingestellt werden. Schon die Ermittlungen im Vorfeld würden recht lasch und unempathisch abgewickelt. Belegt werden Frau Angerers Ausführungen durch den exemplarischen Fall einer jungen Frau, die eine Vergewaltigung angezeigt hat. Das medizinische Gutachten sprach von typischen Vergewaltigungsverletzungen. Sie war nicht Opfer genug. Sie hätte vorher besser nachdenken sollen und auch mehr Gegenwehr leisten.

Warum entwickelt sich ein misogynes Gesellschaftsklima? Haben Frauen auf Herausforderungen wie Corona und Inflation zu prompt und in vorauseilendem Gehorsam funktioniert? Quasi spielerisch organisierten sie Homeoffice, Schule zu Hause und mobile Pflege. Es wurde viel geklatscht für die selbstlosen Heldinnen des Alltags. Und natürlich waren wir auch stolz auf das, was wir geleistet haben. „Zusammen mit unseren Männern,“ haben wir natürlich immer schnell mit dazu gesagt.

Vor Corona und dem Krieg hatten wir schon merkliche Fortschritte gemacht, in Sachen Kinderbetreuung und Abschaffung der Generalklausel. Aber dieser fortschrittliche Wind hat gedreht, und plötzlich sagt man zu Eltern, die einen Kindergartenplatz suchen: „Wollen Sie ihr Kind wirklich fremdbetreuen lassen?“ In vielen Gemeinden muss die Mutter nachweisen, dass sie tatsächlich einen Arbeitsplatz hat, damit sie ihr Kind „abgeben“ darf.

Man spricht nicht mehr vom Mitgemeint-Sein und von der Sichtbarkeit in der Sprache, sondern wir vernehmen tagtäglich, dass „gegen den Genderwahnsinn etwas unternommen werden muss“. Während Europas Parteipolitiker Bunga Bunga-Parties feiern und dennoch Staatsbegräbnisse erhalten, verliert Finnlands Premierministerin die Wahlen, nachdem ein Tanzvideo von ihr die Runde machte. Ja. Man muss es sagen: In Europa tragen Frauen ein Kopftuch. Das Kopftuch der Bescheidenheit und der Demut. Wenn eine sichtbar wird oder laut, dann wird sie abgedreht.

Das Kopftuch beherrscht auch die Medien. Wenn Frauen nicht die patriarchal-hierarchische Linie vertreten, rollt eine Schmutzlawine über sie hinweg, wie jüngst über jene, die dachten, sie könnten bei einer Diskussion über Rammstein mitreden. „Aber Darling! Das ist halt Kunst.“ Und das im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, das einen verbrieften Bildungsauftrag hat.

Ich zähle allmorgendlich die Leserinnenbriefe in der Tageszeitung. Die werden nicht mehr. Ich warte bei allen Veranstaltungen in der Kloschlange vor dem Damenklo. Die wird nicht kürzer. Ich wundere mich nicht darüber, dass die Zahlen der Anzeigen von Vergewaltigungen ansteigen, die Verurteilungen aber zahlenmäßig und im Strafausmaß weit hinter meinen Erwartungen zurückliegen. In einem Staat in dem latent und am Wirtshausstammtisch die Meinung vorherrscht, dass alte Frauen mit Vergewaltigungen nicht mehr rechnen können und „Die gehört nur einmal richtig durchgef*“ ein vielgepriesenes Volksheilmittel gegen aufmüpfige Frauen ist, dürfen wir uns nicht wundern, wenn wöchentlich von neuen Femiziden berichtet wird.

Sagen wir endlich StoP! Gewalt fängt im Kopf an, schlägt sich in unserer Sprache nieder und zeigt sich in unserm alltäglichen Verhalten. Femizide sind nur der Gipfel des Eisberges.

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